WIRTSCHAFTSFORSCHUNG: „EINE 32-STUNDEN-WOCHE WIRD IN MANCHEN BRANCHEN SCHWER ZU VERMEIDEN SEIN“

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm über das lange Warten auf den Aufschwung – und die Arbeitsfähigkeit des Sachverständigenrats nach dem Eklat um ihren Aufsichtsratsposten bei Siemens Energy.

WirtschaftsWoche: Frau Grimm, die Konjunkturlage ist diffus. Einige Frühindikatoren zeigen nach oben, zugleich steigen Ölpreis und geopolitische Risiken. Wie lange müssen wir auf den Aufschwung noch warten?

Veronika Grimm: Vieles deutet darauf hin, dass die Konjunktur in diesem Jahr nur mühsam aus dem Tal herausfindet. Für 2025 aber sieht es besser aus. Der Sachverständigenrat arbeitet gerade an einer aktualisierten Prognose. Wir werden diese am 15. Mai vorstellen. 

Und wie sehen Sie generell die Zukunft der deutschen Wirtschaft? Der Sachverständigenrat (SVR) schätzt das mittelfristige Wachstumspotenzial Deutschlands ja nur noch auf rund 0,4 Prozent…

Ja, unsere Produktivitätsentwicklung ist alarmierend schwach. Ohne mutige Strukturreformen werden wir künftig keine großen Sprünge machen. Die demografische Entwicklung ist nun mal wie sie ist. Wenn es uns nicht gelingt, das Absinken des Arbeitsvolumens zu begrenzen und die Investitionen deutlich zu erhöhen, wird das Wachstumspotenzial niedrig bleiben.

Dessen ungeachtet trommeln Gewerkschaften und manche Politiker für eine 32-Stunden-Woche. Was wären die ökonomischen Folgen einer solchen Arbeitszeitverkürzung?

Da gibt es zwei Antworten. Erstens: Eine 32-Stunden-Woche in weiten Teilen der Wirtschaft wäre eine weitere massive Belastung für das Wachstumspotenzial – und damit auch für die Steuereinnahmen und die Fähigkeit der Politik, den Herausforderungen durch Klimawende, Transformation und geopolitische Konflikte zu begegnen.

Zweitens: Die Verhandlungsposition der Beschäftigten wird angesichts des eskalierenden Arbeitskräftemangels immer besser – sodass eine 32-Stunden-Woche in vielen Unternehmen und Branchen langfristig schwer zu vermeiden sein wird.

Der SVR hat zuletzt für negative Schlagzeilen gesorgt. Ihre vier Kolleginnen und Kollegen haben – auch öffentlich – Front gemacht gegen Ihr Aufsichtsratsmandat bei Siemens Energy.  Wie ist jetzt die Stimmung? Ist der Rat überhaupt noch arbeitsfähig? 

Wir arbeiten sachorientiert zusammen, so wie sich das gehört. Wir hatten in diesem Jahr mehrere Arbeitssitzungen. Meine Position ist klar: Wir hätten alles intern besprechen sollen, anstatt die Differenzen an die Öffentlichkeit und in die Politik zu tragen. Jetzt geht es darum, zu einem professionellen Miteinander zurückzukehren. Dass der Rat in der Lage ist, wissenschaftlich fundiert und im Konsens zu arbeiten, zeigen die einstimmig verabschiedeten Reformvorschläge zur Schuldenbremse. Mein Mandat im Rat läuft noch bis 2027.

Die anderen vier Ratsmitglieder wollen neue Compliance-Vorgaben für das Gremium festschreiben. Wie weit ist das Regelwerk gediehen?   

Es gibt eine interne Debatte im Rat, die ich nicht nach außen tragen werde.

Bleiben Sie im Rat denn weiter zuständig für die Energiepolitik?

Es gibt in diesem Sinne keine Zuständigkeiten. Wir verantworten alle Kapitel gemeinsam. Im Jahresgutachten 2022/23 habe ich zum Beispiel nicht das Energie-Kapitel koordiniert, sondern das zur Wettbewerbsfähigkeit, im vergangenen Gutachten das Kapitel zum Produktionspotenzial. Aber unabhängig davon: Zu Angelegenheiten, die Siemens Energy direkt tangieren, würde ich mich aufgrund meines doppelten Mandats nicht öffentlich äußern. Zu allgemeinen Fragen der Energiewende und Transformation aber durchaus. Das ist seit mehr als 20 Jahren der Kern meiner Forschung.

Der SVR steht mit seinen ökonomischen Analysen nicht allein: Auch Forschungsinstitute, Banken und die Bundesregierung erstellen eigene Studien und Konjunkturprognosen. Brauchen wir diese Flut von Gutachten wirklich?

Ich halte es für wichtig, dass gerade bei Konjunkturprognosen ein gewisser Wettbewerb herrscht und sich dadurch verschiedene Perspektiven abgleichen lassen. Gerade in Zeiten großer Unsicherheit ist ein breites konjunkturelles Lagebild nötig – auch weil sich viele politische Entscheidungen an den Prognosen orientieren.

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