LEISTUNG FüR äRMERE FAMILIEN : STREIT MIT NEBENEFFEKT: EIN DRITTEL MEHR KINDER BEKOMMEN KINDERZUSCHLAG

Die Bundesregierung diskutiert heftig über die Kindergrundsicherung – und macht Familien damit offenbar auf eine bereits bestehende Leistung aufmerksam.

Die Zahl der Kinder, die den Kinderzuschlag erhalten, ist 2023 etwa um ein Drittel gestiegen. Bekamen den Zuschlag im Januar 2023 noch knapp 765.000 Kinder, waren es im Oktober 2023 erstmals mehr als eine Million Kinder, mit steigender Tendenz: Im März 2024 erhielten die Leistung, monatlich bis zu 292 Euro, fast 1,08 Millionen Kinder.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA), deren Familienkasse den Kinderzuschlag für Familien mit geringem Einkommen verwaltet, führt die deutliche Zunahme auch auf „die öffentliche Debatte um die Kindergrundsicherung“ zurück. Ein politischer Streit mit Nebeneffekt also.

Denn seit Monaten diskutiert die Ampelkoalition heftig über ihr wichtigstes Sozialprojekt. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) will Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag und andere Leistungen zusammenfassen, die Kindergrundsicherung soll dann automatisch ausgezahlt und möglichst digital umgesetzt werden.

Den aktuellen Kinderzuschlag zu beantragen, hält Paus dagegen für „höchst bürokratisch“. Das führe dazu, dass ihn nur 30 Prozent der Berechtigten in Anspruch nehmen würden – 70 Prozent der berechtigten Kinder lebten in verdeckter Armut, behauptet die Ministerin.

Was eine Vereinfachung bringen soll, würde allerdings mehr Bürokratie verursachen. Paus will neue Behörden aufbauen, inklusive gut 5000 zusätzlicher Vollzeitstellen. Kosten: fast eine halbe Milliarde Euro. Da der Ärger darüber anhält, soll die Kindergrundsicherung nun plötzlich auch mit weniger Personal möglich sein. Fachleute jedenfalls kritisieren den erheblichen Verwaltungsaufwand – und erwarten, dass trotz aller Ankündigungen verschiedene Ämter zuständig bleiben würden.

Bringschuld für Sozialleistungen?

Paus deklariert den Stellenaufbau trotzdem weiter als Bürokratieentlastung. Statt einer Schuld der Bürger, sich die Leistung zu holen, solle es zu einer „Bringschuld des Staates“ kommen. Die Zahlen der Arbeitsagentur seien der „Beweis, dass es keine paternalistische und bürokratische Bringschuld des Staates bei Sozialleistungen braucht“, sagt dagegen Jens Teutrine, Sozialpolitiker der FDP.

Mehr Transparenz, öffentliche Informationen und ein unkomplizierter digitaler Zugang reichten vollkommen aus, fügt Teutrine hinzu: „Erst recht, wenn wir so das Steuergeld für die neue Sozialbürokratie und neue Staatsbedienstete sparen und stattdessen in mehr qualitative Kinderbetreuung investieren können.“ 

Statt laut Plan 873 Millionen einzusparen, will die Familienministerin im Haushaltsjahr 2025 allerdings lieber 2,3 Milliarden Euro mehr ausgeben. Ausgabenwünsche gibt es viele – doch was Priorität haben sollte, darüber könnte sich die Ampel-Koalition entzweien.

Lisa Paus hat wiederholt von Millionen Familien gesprochen, die nicht wüssten, dass ihnen Leistungen zustehen. Sie rechnet mit bis zu 5,6 Millionen armutsbedrohten Familien und ihren Kindern, die die Kindergrundsicherung erhalten würden. Das ist eine sehr große Zahl.

Laut den Statistiken der BA lebten die Kinder, die den Kinderzuschlag bekamen, im Januar 2023 in gut 295.000 Familien (mit zum Teil mehreren Kindern). Zuletzt ging die Leistung an knapp 430.500 Familien. Möglicherweise geben die Zahlen zukünftig eine Ahnung davon, ob die Familienministerin mit ihren Annahmen über die Anzahl der Berechtigten dereinst richtig lag.

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