IMMOBILIEN: „NICHT WENIGE SANIERUNGSPROJEKTE ENDEN IN DER WIRTSCHAFTLICHEN KATASTROPHE“

In Deutschland gibt es zu wenig Wohnungen und zu viele Büros. Trotzdem werden nur wenige Gewerbeimmobilien in Wohnraum umgewandelt. Ein Experte erklärt, woran das liegt.

Noch immer steckt der Neubau von Wohnungen in einer tiefen Krise. Im Februar 2024 wurden in ganz Deutschland nur 18.200 neue Wohnungen genehmigt. Das sind etwa 18 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Im Vergleich zu 2021 sanken die Baugenehmigungen um mehr als 40 Prozent. Gleichzeitig steigen die Mieten sprunghaft an; der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist gravierend. 2023 musste der Bund Mietern mit über 20 Milliarden Euro unter die Arme greifen.

Während in Großstädten freie Wohnungen Mangelware sind, stehen immer mehr Büroräume und Gewerbeimmobilien leer. Würde man einen Teil davon in Wohnungen umwandeln, könnten allein in den sieben größten deutschen Städten innerhalb kurzer Zeit 20.000 Wohnungen entstehen, schätzt die Beratungsfirma JLL. Das würde den jährlichen Bedarf in den Metropolen um rund ein Viertel senken.

Soweit jedenfalls die Theorie. In der Praxis sind Umwandlungen noch immer selten. Nur etwa fünf Prozent machen sie hierzulande bei neuen Wohnungen aus, schätzt JLL. In der Praxis bergen solch Projekte nämlich zahlreiche Risiken. Michael Ammann, Vorstand der Wohnungsgesellschaft des rheinischen Handwerks, spricht im Interview über die größten Probleme – und wie es besser gehen könnte. 

WirtschaftsWoche: Herr Ammann, vor zwei Jahren standen weniger als drei Prozent der Büros in den größten deutschen Städten leer, mittlerweile sind es sechs Prozent. Tendenz steigend. Gleichzeitig fehlen vielerorts Wohnungen. Warum wandelt man leerstehende Büros also jetzt nicht in einem Kraftakt in Wohnungen um?

Michael Ammann: Dafür gibt es verschiedenste Gründe. Gehört mir das Gebäude bereits oder muss ich erst investieren? Eignet sich das Gebäude für eine Umwandlung? Oder ergibt eine Sanierung ohne Nutzungsänderung mehr Sinn? Mache ich Mietwohnungen, Apartments oder ein Hotel daraus? Und, ganz wichtig: Welche Nutzung ist laut Bebauungsplan überhaupt zulässig?

Sie haben 2020 ein großes Umnutzungsprojekt in der Kölner Innenstadt erfolgreich abgeschlossen. Was haben Sie dabei gelernt?

Das größte Problem ist, dass man etwas weitgehend Unbekanntes kauft. Selbstverständlich kann man vor dem Kauf das Gebäude auf die Statik oder auf Schadstoffe checken, aber es bleiben blinde Flecken. Ein großes Problem war bei uns die Dicke der Decken: Um einen ausreichenden Schallschutz zu gewährleisten, mussten wir diese erst abhängen und einen neuen Estrich legen. Hinter einer Zwischenwand kam zudem ein Fahrstuhlschacht hervor, der in keinem Plan verzeichnet war. Solche Überraschungen muss man in der Planung einkalkulieren.

Sie haben für die Umwandlung eines ehemaligen Bürogebäudes und einer Lagerhalle insgesamt sechs Jahre gebraucht. Warum dauerte es so lange?

Das lag vor allem an genehmigungsrechtlichen Fragen. Wir mussten einen Bauantrag stellen, die Nachbarn befragen und ihre Erlaubnis einholen. Darüber hinaus mussten wir Abstandsflächen und Bestimmungen zum Brand- und Schallschutz beachten. Bis wir mit dem Umbau beginnen konnten, hat es 19 Monate gedauert.

Kam von der Stadt keine Unterstützung? Das Interesse, alte, ungenutzten Gebäude in zentraler Lage in Wohnungen zu verwandeln, müsste doch enorm sein.

Das scheint nicht die Mentalität der Bauaufsicht zu sein. Stattdessen wurden manche Ideen von uns kategorisch abgekanzelt. Oder wir mussten viele Ressourcen und viel Überzeugungskraft einsetzen, um das Ziel zu erreichen.

Werden Sie in Zukunft also keine Umwandlungen mehr machen?

Doch. Tatsächlich liegt mir gerade ein interessantes Angebot vor. Die Voraussetzungen haben sich in den vergangenen Monaten geändert: Die Kaufpreise sind erheblich gesunken, da manche Eigentümer inzwischen regelrecht zum Verkaufen gezwungen sind.

Manche Branchenexperten sagen, dass eine Umwandlung nur halb so teuer sei wie ein Neubau. Stimmt das?

Nein, ein Bürogebäude in ein Wohngebäude umzuwandeln, ist in etwa genauso teuer wie ein Neubau auf der grünen Wiese. Das liegt zum einen daran, dass man lange auf Genehmigungen warten muss, zum anderem daran, dass man spezialisierte Handwerker braucht, um flexibel auf unerwartete Probleme reagieren zu können. Die entstehenden Wohnungen können deshalb oft nur verhältnismäßig teuer vermietet werden. Und viele vergessen schlicht, dass das Haus erst gekauft werden muss.

Und wenn man die Kosten für den Abriss eines Gebäudes einrechnet?

Dann neigt sich das Pendel in Richtung Umwandlung. Die Kosten für einen Abriss und die Entsorgung des Materials sind in den letzten Jahren massiv gestiegen, und ein Abriss bringt oft Probleme mit sich. Es ist deshalb eine fast böswillige Unterstellung, dass Bauherren bestehende Gebäude gerne abreißen würden. Bei unserem Projekt in Köln habe ich nicht eine Sekunde darüber nachgedacht. Es gibt aber viele Häuser, die einfach nicht mehr zu retten sind, und nicht wenige Sanierungsprojekte, die in der wirtschaftlichen Katastrophe enden.

Wie könnten Umnutzungen erleichtert werden?

Ein positives Beispiel: Das Land Niedersachen will die Bauordnung ändern. Im Kern geht es darum, dass ein umgewandeltes Gebäude nicht allen Standards von Neubauten entsprechen muss. Auch die Genehmigungsverfahren sollen vereinfacht werden. Man will die Verantwortung mehr den Bauherren und den Architekten übertragen, das geht in die richtige Richtung. Trotzdem bleibt man bisher in diesen Fällen rechtlich angreifbar.

Wie machen es andere Länder? In den USA stehen rund 20 Prozent aller Bürogebäude leer. Gleichzeitig sind dort 2023 so viele neue Wohnungen durch Umwandlungen entstanden wie nie zuvor.

Die Amerikaner gehen unkonventionelle Wege, die hierzulande schwer vorstellbar sind. Zum Beispiel müssen einzelne Räume einer Wohnung dort keine Fenster haben. Das Problem bei ehemaligen Bürogebäuden ist ja häufig die Tiefe der Gebäude und Zimmer ohne Außenwand. In Nordrhein-Westfalen gab es etwa bis vor Kurzem die Vorschrift, dass eine Wohnung, die nur Nordfenster hat, nicht zulässig ist. Diese Wohnungen wurden daraufhin dicht gemacht.

In einem Fachartikel haben Sie geschrieben, dass sich nicht alle Gebäude für eine Umnutzung eignen. In welchen Gebieten droht dauerhafter Leerstand?

In den letzten zehn, zwanzig Jahren sind vor allem im Umland viele Gewerbegebiete und Backoffice-Gebäude entstanden, die in dieser Größe wohl nicht mehr gebraucht werden. Zum Beispiel um München herum: Aschheim, Unterhaching oder Poing. Das sind Gebiete, die dauerhaft schwer zu vermieten sein werden. Und die für Wohnungen nicht oder nur schlecht geeignet sind, unter anderem, weil es keinen guten Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr gibt. „Stranded Assets“, also Immobilien, die stark an Wert verlieren, werden zunehmen. In manchen Außengebieten wird es Fälle geben, die man nur noch downcyceln, also zu einfachen Lagerhallen für Handwerker oder die Industrie umbauen kann. Im Extremfall bleiben nur ein großflächiger Abriss und die Neuentwicklung eines Stadtviertels.

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