DIE STROMINSEL: SPANIEN ERZEUGT VIEL ERNEUERBARE ENERGIEN, DOCH DIE EU KANN SIE NICHT NUTZEN.

Eigentlich ist die iberische Halbinsel prädestiniert für die Erzeugung von Solar- und Windenergie. Aber es fehlt an leistungsfähigen Kabeln in den Rest Europas. Das liegt auch an Frankreich

Der Ausbau erneuerbarer Quellen für die Stromproduktion nimmt in Spanien Schwung auf: 2023 betrug ihr Anteil am Strommix erstmals über 50 Prozent, mehr als eine Verdoppelung gegenüber 2021. Im jüngsten Energie- und Klimaplan hat Energieministerin Teresa Ribera die Ziele für die Durchdringung erneuerbarer Energien des Landes im Stromsektor von 74 auf 81 Prozent erhöht. Die EU-Kommission hat den Plan im Januar abgenickt.

Für die Produktion sauberer Energien ist Spanien ein Paradies: Das Land hat viele Sonnenstunden und vor den Küsten der Iberischen Halbinsel weht der Wind zuverlässig. Laut einer Analyse des norwegischen Think Tanks Rystad Energy verfügt Spanien über das größte wirtschaftliche Solarpotenzial unter den großen EU-Ländern und ist gleichzeitig ein Vorreiter in der europäischen Windindustrie. Seit 2021 ist das Land auch Strom-Nettoexporteur — davor importierte Spanien vor allem Strom aus Frankreich. Dort setzt die Regierung wieder verstärkt auf Atomstrom, auf Kosten des Ausbaus von Wind- und Solarenergie.

Auch deutsche Unternehmen wollen von den günstigen Voraussetzungen für Erneuerbare in Spanien profitieren. Der Agrar- und Energiekonzern Baywa hat erst vor wenigen Wochen mit dem Bau eines kombinierten Solar- und Windprojekts in der nördlichen Provinz Saragossa begonnen, das bis Ende 2025 insgesamt 188 Megawatt Leistung ans Netz bringen soll. Energieversorger RWE ist momentan dabei, einen 92 MW-Solarpark in Andalusien in Betrieb zu nehmen, mit dem jährlich ein Äquivalent von 20.000 spanischen Haushalten mit Grünstrom versorgt werden könnte.

Die EU profitiert nicht von Spaniens grünem Strom

Spaniens Stromüberschuss betrug vergangenes Jahr rund acht Prozent. Laut Rystad Energy hat das Land eine der größten Projektpipelines für erneuerbare Stromproduktion. Könnte Spanien schon in naher Zukunft Deutschland und andere EU-Länder mit sauberem, günstigen Strom versorgen? „Das ist zur Zeit nicht möglich“, so die ernüchternde Antwort von Gonzalo Escribano, Energieanalyst bei der spanischen Denkfabrik Real Instituto Elcano. Der Grund: Es gibt nicht ausreichend Verbindungskapazitäten. Wegen der schwachen Stromnetzanbindung der Iberischen Halbinsel an den Rest Europas könnte die EU kaum vom sauberen, günstigen Strom aus Spanien profitieren, lautet auch das Fazit von Rystad Energy.

Grenzüberschreitenden Hochspannungsleitungen kommt eine besondere Rolle zu

Bei der Energiewende geht es nicht nur um den Bau von mehr Solarpaneelen und Windkraftanlagen, warnen die Nichtregierungsorganisationen European Environmental Bureau und der Energie-Think-Tank Ember. Interkonnektoren, grenzüberschreitenden Hochspannungskabelleitungen, kommt hier eine besondere Rolle zu. Sie seien von entscheidender Bedeutung, um auf kosteneffizienteste Weise Netto-Null zu erreichen. „Europa muss seine derzeitige Verbindungskapazität in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren verdoppeln, um die Energieziele und Klimaneutralität zu erreichen. Doch nicht einmal die aktuellen Ausbaupläne reichen dafür aus“, heißt es in dem Bericht.

In der EU ist das Problem zwar schon seit 2002 bekannt. Damals einigte sich der Europäische Rat darauf, dass alle Mitgliedstaaten bis 2005 eine Vernetzung von mindestens zehn Prozent ihrer installierten Stromerzeugungskapazität erreichen — auf Betreiben Frankreichs allerdings unverbindlich, so Escribano. 2014 hat der Rat die Ziele dann auf zehn Prozent bis 2020 festgelegt. Große Infrastrukturlücken bestehen jedoch weiterhin, wie die EU-Kommission im Dezember 2022 festgestellt hat.

Namentlich genannt wird unter anderem die Anbindung zwischen Spanien und Frankreich. Die Verbindungskapazitäten sind über 20 Jahre später immer noch weit entfernt von den zehn Prozent. „Aktuell liegen wir bei unter fünf Prozent“, sagt Escribano. Immerhin hat die EU-Kommission die vollständige Integration der Iberischen Halbinsel sowie Irlands und Maltas in den Energiebinnenmarkt nun zur obersten Priorität für die EU erklärt.

Zwar ging 2015 der erste spanisch-französische Interkonnektor über die östlichen Pyrenäen ans Netz, die Umsetzung dauerte jedoch acht Jahre. Ein weiterer Interkonnektor ist im Westen, im Golf von Biscaya, in Arbeit. Das Fertigstellungsdatum wurde bereits mehrmals nach hinten verschoben. Aktuell ist das Jahr 2027 vorgesehen. Geplant ist die Verlegung eines Seekabels von Gatika in Spanien bis nach Cubnezais in Frankreich. Insgesamt hat der Interkonnektor eine Länge von 400 Kilometern. Bei Fertigstellung würde die Übertragungskapazität zwischen beiden Ländern auf 5000 MW verdoppelt werden.

Sie machen Versprechungen, aber dann schieben sie es auf, verzögern, stellen neue Umweltauswirkungen fest.

Energieanalyst Gonzalo Escribano über das Verhalten der französischen Seite

Das Projekt zieht sich allerdings schon zwei Jahrzehnte hin, so Escribano, der Frankreich für das schleppende Vorankommen verantwortlich macht. „Sie machen Versprechungen, aber dann schieben sie es auf, verzögern, stellen neue Umweltauswirkungen fest, verteuern das Projekt, indem sie es auf den Seeweg verlegen und so weiter.“ Escribano attestiert Frankreich politischen Unwillen und vermutet dahinter insbesondere die Interessen der französischen Nuklearindustrie. Spanien indes hält sich zurück, in dieser Sache Druck auf Frankreich auszuüben. Zu groß seien gemeinsame Interessen in anderen Bereichen, als dass man diese für eine bessere Energieanbindung aufs Spiel setze, sagt Escribano weiter.

Die Enerigepreise würden purzeln

Wenn die Iberische Halbinsel weiterhin eine Energieinsel bleibt, weil Frankreich sich querstellt, würden in Spanien die Energiepreise weiter purzeln, was die Ansiedlung energieintensiver Unternehmen anlocken werde, ist Escribano überzeugt. Eine negative Auswirkung mangelnder grenzüberschreitender Übertragungskapazitäten ist dagegen die Drosselung erneuerbarer Energien, die anderswo genutzt werden könnten. Im Jahresdurchschnitt werden etwa fünf Prozent der schwankenden erneuerbaren Energien gedrosselt, was laut Rystad Energy zeigt, dass Engpässe bereits jetzt ein Problem darstellen.

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