„ANDERE PRIORITäTEN ALS IN DER SCHWEIZ“: BAHNCHEF MACHT AUCH LANGFRISTIG KEINE HOFFNUNG AUF HOHE PüNKTLICHKEIT

In der Schweiz kommen seit Jahren mehr als 90 Prozent der Züge pünktlich ans Ziel. Für Deutschland sei dies nicht zu erreichen, sagt Lutz in einem Interview – und nennt die Gründe.

Verspätete Züge, verpasste Anschlussverbindungen – für viele sind Fernreisen mit der Bahn immer wieder ein Ärgernis. Im März waren nur 70,5 Prozent der Fahrgäste in ICE- und IC-Zügen mit weniger als 15 Minuten Verspätung an ihrer Endhaltestelle angekommen, qua DB-Definition damit pünktlich. Und der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Richard Lutz, macht den Fahrgästen nun auch auf lange Sicht keine Hoffnung auf hohe Pünktlichkeitswerte wie beispielsweise in der Schweiz.

„In der Abwägung zwischen zusätzlichem Verkehr und der Stabilität des Fahrplans sind die Schweizer ganz klar auf der Seite der Stabilität. Wir haben uns andere Prioritäten gesetzt“, sagte Lutz der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) einem Vorabbericht zufolge. „Wir wollen im Interesse des Klimas und der Mobilität vor allem mehr Züge fahren lassen, auch wenn das aufgrund der Gesamtsituation die Pünktlichkeit zusätzlich belastet.“

Für uns stehen neben der Pünktlichkeit die vielen Fahrgäste ganz oben, die mit uns fahren wollen und auch die Probleme mit uns durchstehen.

Richard Lutz, Chef der Deutschen Bahn

Natürlich könne das Unternehmen zehn Prozent des Verkehrs aus dem Netz nehmen, um wieder pünktlich zu sein, fügte Lutz hinzu. „Aber das kann doch nicht unsere Antwort sein, wenn immer mehr Menschen und Unternehmen die klimafreundliche Schiene nutzen wollen.“

Bei der Bahn stehe der Fahrgast im Zentrum, betonte der Manager. „Ich würde einen Zugchef nie kritisieren, weil er zum Beispiel auf eine Mutter mit Kinderwagen wartet“, sagte er. „Für uns stehen neben der Pünktlichkeit die vielen Fahrgäste ganz oben, die mit uns fahren wollen und auch die Probleme mit uns durchstehen.“

DB-Reisende sollen besser informiert werden

In der Schweiz kommen seit Jahren mehr als 90 Prozent der Züge pünktlich ans Ziel. Lutz bekräftigte in dem Interview, im Jahr 2024 eine durchschnittliche Pünktlichkeit von 70 Prozent erreichen zu wollen. „Unter dieser Schwelle steigt die Unzufriedenheit der Kunden besonders stark“, so der Bahnchef.

„Die Fahrgäste regen sich nicht über fünf oder sechs Minuten Verspätung auf. Sie regen sich zu Recht auf, wenn sie eine halbe oder ganze Stunde verspätet sind, wenn sie Anschlüsse verpassen und die ganze Reiseplanung unkalkulierbar wird. Deshalb arbeiten wir parallel auch an der Verbesserung unserer Reisendeninformationen“, sagte Lutz weiter.

Der Pünktlichkeitswert solle dann ab 2028 auf 80 Prozent gesteigert werden. „Wir wollen in diesem Jahr die Wende schaffen. Mit den ersten vier Monaten können wir noch nicht zufrieden sein. Nur etwa 65 Prozent der Fernzüge waren pünktlich“ sagte Lutz. Als für die Pünktlichkeit besonders schwierige Zeit stellte sich in den vergangenen beiden Jahren vor allem der Sommer heraus. 

Das Schienennetz der Bahn gilt als marode und überlastet. Im Alltagsbetrieb führten viele Störungen auf wichtigen Strecken sowie zahlreiche Baustellen zuletzt zu großen Problemen bei der Pünktlichkeit. Die DB will dieses Jahr 2000 Kilometer Gleise und 2000 Weichen erneuern.

„Die Investitionen von DB, Bund und Ländern in die Schieneninfrastruktur summieren sich allein 2024 auf rund 16,4 Milliarden Euro“, hatte der bundeseigene Konzern am Montag mitgeteilt.

Lutz forderte von der Politik, über die laufenden Reparaturarbeiten am bestehenden Netz den Neubau von Bahnstrecken nicht zu vernachlässigen. „Es genügt nicht, dass wir bestehende Infrastruktur sanieren. Wir müssen auch Strecken neu bauen.“ Der Neubau sei wichtig, um schnellen und langsamen Verkehr zu trennen, betonte der Bahnchef. „Das schafft nicht nur zusätzliche Kapazität, sondern stabilisiert den gesamten Betrieb.“

Als Beispiel nannte er die geplante Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim. Mit den Vorhaben müsse jetzt begonnen werden – „wenn wir wollen, dass neue Strecken noch in den Dreißigerjahren in Betrieb gehen“. An der Nachfrage würden die verkehrspolitischen Ziele nicht scheitern, „dafür brauchen wir auch den Neubau“.

Der Neubau von Bahnstrecken stockt zurzeit in Deutschland nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch aufgrund von Widerständen in der Bevölkerung. So hatte sich der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil mit Rücksicht auf seinen Wahlkreis gegen die Planungen für eine wichtige Neubaustrecke zwischen Hamburg und Hannover eingesetzt. (lem)

2024-05-03T11:55:58Z dg43tfdfdgfd